Gemein- statt Privateigentum: Vom Tübinger Modell zu Neustart Tübingen
Seit langem macht Tübingen fortschrittliche Stadtentwicklung. Das kommt nicht von ungefähr: Proteste verhinderten in den 1970er Jahren die autofreundliche Zerstörung der Tübinger Altstadt. Die "ursprüngliche" Stadt mit ihrer Mischung aus Wohnen, Gewerbe und öffentlichen Räumen konnte erhalten werden.
Anfang der 1990er Jahre wurde dieses Konzept einer "alltagstauglichen Stadt" (Stadt der kurzen Wege, Durchmischung von Wohnen und Arbeiten, etc.) auf die zwei freigewordenen Kasernen-Flächen übertragen (Französisches Viertel und Loretto-Areal). Das war der Startpunkt des "Tübinger Modells". Die Stadt vergab Flächen, aufgeteilt in kleine Parzellen, nach dem sogenannten Konzeptvergabeverfahren an Baugruppen statt an Investor*innen. Das sollte den Erwerb von Eigentum auch für Einkommensschwächere und junge Familien ermöglichen. Bedingung war ein Spekulationsschutz von 10 Jahren.
Bild: Plakat Stadt Tübingen + LEG zum Städtebaulichen Entwicklungsgebiet "Stuttgarter Str./ Französ. Viertel"
Die neuen Viertel (weitere wie das Mühlenviertel, Alte Weberei, teilweise Güterbahnhof sind hinzugekommen) bieten auch heute noch hohe Wohn- und Lebensqualität und tragen so zur Attraktivität Tübingens bei - aktuell: Städtebaupreis revisited 2020. Aber das Baugruppen-Modell konnte die Kostensteigerung fürs Wohnen nicht stoppen. Gerade auch diese attraktiven Stadtviertel führten - durch Fremdvermietungen und Weiterverkäufe von Baugruppenwohnungen - mit zum starken Anstieg der Immobilien- und Mietpreise. Die angestrebte Vielfalt der Bewohnenden blieb begrenzt: Gutverdienende und Akademiker*innen bleiben unter sich.
Knapper werdendes Bauland und Zuzug haben den Druck auf den Wohnungsmarkt weiter erhöht. Die wenigen Flächen müssen jetzt noch wirtschaftlicher und effizienter genutzt werden.
Bild oben: Andreas Feldtkeller (re.; Foto: Fabian Betz)
So kam seit 2010 der Mietenwahnsinn auch in Tübingen an. Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, Wohnraum in Tübingen zu bezahlen und ziehen ins Umland. Viele Pflegekräfte, Handwerker*innen und andere Beschäftigte auch aus gesellschaftlich wichtigen Berufen müssen von ausserhalb nach Tübingen kommen. Die Einpendler*innen werden jedes Jahr mehr. Auch deshalb wird immer stärker diskutiert: Soll Tübingen weiter wachsen? Wie kann ein gutes Leben für alle in Tübingen und Umgebung aussehen?
Bild: Housing Action Day TÜ, 26.03.22 (Foto: U.Otto)
Die Neustart-Idee bietet einige Antworten auf diese Fragen: Gemeinschaftliche Formen von Wohnen, weniger private Wohnfläche, gute Konzepte für soziale Infrastruktur und lebenswerte Quartiersentwicklung. Teilen statt tauschen, gemeinsam nutzen statt individuell besitzen, Gemein- statt Privateigentum. Und mit den ebenfalls immer stärkeren Gemeinwohlakteuren setzen wir uns auch politisch für die enkeltaugliche Stadt für Alle ein.
Entwickeln wir also das Tübinger Modell zum "Neuen Tübinger Modell"!
Genossenschaftliche, gemeinwohlorientierte Träger bauen für eine sozial gemischte Bewohner*innenschaft neue Wohnprojekte und Stadtviertel als Gemeineigentum. Grundstücke und Wohnraum werden dem Immobilienmarkt und der Spekulation dauerhaft entzogen und in demokratische Verwaltung überführt.