Zwitter zwischen WG und Hausgemeinschaft: Clusterwohnen

Alle machen plötzlich Clusterwohnen. Wie aus Erfahrungen lernen?

Im Neustart-Projekt sollen ganz viele unterschiedliche Wohnformen entstehen – konventionelle Einzelhaushalte ebenso wie vielfältige gemeinschaftliche Wohnformen. Diese reichen von expliziten WGs über Großhaushalte mit WG-Charakter bis hin zu „Cluster-Wohnungen“. Dieser relativ neue Wohnungstyp soll die Vorteile von WG´s und Hausgemeinschaften verbinden und gleichzeitig ihre jeweiligen Nachteile vermeiden. Als Vorteile gelten:

  • Das Beste aus beiden Welten: Es ist sowohl Gemeinschaftsorientierung als auch Privatheit möglich: der Privat-Cluster hat, wenn (phasenweise) gewünscht, alles, was eine private kleine Wohneinheit braucht.
  • Einsam oder gemeinsam: Die Cluster-Struktur sei insbesondere auch für Menschen eine Chance, die Kontakt einerseits und Rückzugsbedürfnisse andererseits gut selbst balancieren wollen – häufig wird an (neu) Alleinstehende gedacht, an Menschen, die der Einsamkeit entfliehen oder vorbeugen wollen, immer wieder auch an Ältere.
  • Individuelle Standards & Co: Durch eigene Miniküchen (nicht überall) und eigene kleine Sanitärbereiche (eigentlich überall) wird ein typischer WG-Konfliktpunkt entschärft: Absprachen und „Pegel“ bzgl. Sauberkeit usw. (Foto: U.Otto)
  • Raumökonomie: Die gemeinschaftlich geteilte Infrastruktur der Cluster-Wohnung bietet viele Möglichkeiten für alle. Damit wird gerade bei 1- bis 2-Personenhaushalten potenziell weniger Gesamt-Wohnfläche gebraucht, als wenn all dies in der eigenen Wohnung Platz finden muss.

Klingt richtig überzeugend – ist in der Praxis aber oft gar nicht so einfach. Wir versuchen deshalb, vorab umfassend von den vielerorts gemachten Erfahrungen zu lernen:

  • z.B. von der Münchner Wagnis eG, die uns berät,
  • durch Exkursionen einzelner Neustartler*innen
  • und durch Ulrich Otto (bei uns u.a. in der AG Öffentlichkeitsarbeit und neu der Projektkoordination). Er forscht u.a. darüber, wie sich Gemeinschafts-Wohnprojekte nach einigen Jahren bewähren – besonders intensiv im Züricher Hunzikerareal, einem hoch verdichteten Neustart-Schweiz-Projekt mit 1.250 Bewohner*innen und ganz viel sozialer Infrastruktur. Dazu nutzt er Exkursionen, teilnehmende Beobachtung und viele qualitative Interviews.
    (Bild: kids-geführte Exkursion im Hunzikerareal, Foto: U.Otto)

Es finden sich gemeinsame und unterschiedliche Merkmale: Die Gemeinschaftsflächen werden gemeinsam über die Mietpreise getragen. Teilweise werden die Gemeinschaftsräume gegen Geld geputzt, in manchen Clusterwohnungen gibt es ein Stundenkontingent, was regelmäßig eingebracht werden soll. Es gibt Cluster-Gemeinschaften, in denen praktisch immer gemeinsam gekocht und gewirtschaftet wird, die eigentlich wie WG´s funktionieren. In anderen sind die Gemeinschaftsflächen oft verwaist, kochen die Bewohnenden zwar in der großen „Gemeinschafts“-Küche, nehmen es aber dann mit in ihren Privatbereich.

Was für Fragen stellen sich:

  • Gute Bindungen? Wie kann die Phase der Gruppenfindung am Anfang aussehen, sodass möglichst stabile Cluster-Gruppen entstehen? Sollen sich die Cluster z.B. als Vereine selbst organisieren? Und auch ihre Mietverteilung unter sich regeln? Sollten Clustern notfalls ein paar Leerstandswochen zugestanden werden, damit die Nach-Rekrutierung bei Personenwechsel sorgfältig gelingt?
  • „Gleich zu gleich….“? Wie ist es mit Generationen-Mischung? Wer hat was davon, wer will es überhaupt, wie kann es gelingen? Können Cluster sogar mit einzelnen Familien mit Kindern funktionieren? Oder funktioniert Homogenität eben doch leichter und ist begehrter – und welche Sorte Homogenität?
    (Bild: Hunzikerareal-Cluster mit Kids; Foto: U.Otto)
  • Doch nix für Ältere? Die Erfahrung in der Schweiz: Obwohl für diese Altersgruppe konzipiert, ist gerade sie praktisch nicht für Clusterwohnen gewonnen worden. Gründe in Uli Ottos Interviews: Sie müssen sich oft von größeren Haushalten trennen… und vielleicht mehr als Jüngere von Gewohntem. Nicht zuletzt ihren gewohnten Quartiers- und Nachbarbeziehungen. Sie tragen schwer an verbauten Rückwegen, sind oft sicherheitsorientierter. Trial and error scheidet für die meisten von ihnen aus. Welche Brücken könnte es hier geben?
    (Bild: Cluster HEnC2 Tübingen - mit Miniküchen und WC/DU überall; Idee: nestbau AG, Arch.: LEHENdrei, Stgt)
  • Wie flexible Aneignung ermöglichen? Auf völlig gleichen Grundrissen im Hunzikerareal fand Uli völlig unterschiedliche Gemeinschaftsideen und deshalb völlig konträre Verbesserungsvorschläge: z.B. die großen Gemeinschaftsbereiche lieber zonieren, bei Bedarf abtrennbar usw.? Auf die privaten Miniküchen ganz verzichten, zugunsten mehr zonierbarer Gemeinschaftsbereiche und noch professionellerer Ausstattung in der großen Küche? (Andere votieren genau andersrum.) Z.B. 2-Zimmer-Cluster möglichst ohne Durchgangs- und "gefangene" Zimmer konzipieren (z.B. mit Blick auf unterschiedliche Paar-Wünsche)? Auch Grundrisse für Mehrkind-Familien in Clustern ermöglichen - und was heißt das sowohl für die Privat- wie die Gemeinschaftslayouts? Auf dem Geschoss sogar die Koppelung von zwei Clustern baulich vorbereiten? Die Bilder zeigen ensprechend unterschiedliche Grundriss-Philosophien.
    (Bild: Cluster im LENA-Haus - ohne Miniküchen, weniger WC/DU, Basel)
  • Size matters? Viele der bis heute gebauten Clusterwohnungen sind keineswegs per se flächensparend. Die vielen Bäder und manchmal fließende Grundrisse mit üppigen Flurzonen summieren sich. Deshalb und wegen der Kostenexplosion wird heute stark diskutiert, ob nicht auch deutlich sparsamere Layouts möglich sind. Und wo Flächen klug eingespart werden können. Der LENA-Grundriss (Bild oben) zeigt z.B. ein stark WG-orientiertes Layout für Einzel- und Paarpersonen mit relativ kleinen Räumen und ohne Miniküchen.
    (Bild: Cluster im Hunzikerareal - mit Miniküchen und WC/DU überall, Zürich)

Fazit

Sie haben Hochkonjunktur in Wohnprojekten. Aber Clusterwohnungen sind ein hoch anspruchsvoller Wohntyp. Er braucht besonders sorgfältige Flächen-, Ausstattungs-, Besiedelungs- und Bespielungs-Konzeptionen. In Sachen Grundriss, Aufteilung und Ausstattung braucht er möglichst viel Aneignungsspielraum. Das hieße gerade anfangs z.B. bei Miniküchen und den Gemeinschaftszonen noch keine festen und teuren Strukturen, die dann für viele Jahre binden.
Das Spannendste aus der Forschung: Viele – ganz verschiedene – Vorannahmen haben sich überhaupt nicht erfüllt: Z.B. dass alle in die Kantine gehen, wenn sie attraktiv und nah ist und keine Miniküchen vorhanden sind. Oder dass Cluster die ideale Synthese zwischen einsam und gemeinsam ermöglichen und deshalb gerade für Ältere besonders attraktiv sind.

Mehr als bei anderen Wohntypen lohnt es sich, besonders sorgfältig Realerfahrungen einzubeziehen, Gestaltungsspielräume möglichst lang offenzuhalten. Und alles dafür zu tun, dass tragfähige Gruppen zusammenkommen. Denn Clusterwohnen kann sehr kompliziert und störungsanfällig sein. Für die Gruppen aber, in denen die richtigen zueinander gefunden haben, gibt es keine bessere Wohnform – keine, die nachhaltiger und bereichernder ist.

(Bild: Großzügige Flächen im Cluster-Vorreiter Kanzlei-Seen Winterthur; Foto: U.Otto)

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